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Nikoh Toy - Die Vermählung

Wo es von Brautpaaren wimmelt 
Usbekistan hat mehr als 30 Mio. Einwohner, von denen über 30 % unter dreißig Jahre alt sind. Daher ist es nicht verwunderlich, dass man hier auf Tritt und Schritt herumziehenden Hochzeitszügen und unzähligen Brautpaaren bei Fotosessions begegnen kann. In Usbekistan darf man gesetzlich erst mit der Mündigkeit (18 Jahre) heiraten. Ehen zwischen direkten Verwandten und arrangierte Ehen sowie Polygamie sind gesetzlich verboten. Hierzulande sind zwei Formen der Eheschließung: die standesamtliche und die kirchliche; die letztere  ohne die erstere wird nicht anerkannt. 

Brautwerbung ist immer noch maßgeblich
Nikoh toy (Vermählung, Heirat). Der größte Teil der ehelichen Partnerschaften kommt derzeit entweder aus dem Bekanntschafts- und Verwandtschaftsumfeld, oder aus Studien- und Berufskreisen zustande. Auch die Suche nach heiratswilligen Personen und das Kennenlernen des künftigen Brautpaars wird oft von Personen aus obigen Kreisen vermittelt. In der Vergangenheit gab es professionelle Brautwerberinnen, die die Überredenskunst in höchstem Maße beherrschten. Heutzutage agieren als solche Werberinnen die Mütter zusammen mit weiblichen Vertrauenspersonen aus der Verwandtschaft.
Aufwendiges Theaterstück in sieben Akten

Eine durchschnittliche Hochzeit besteht mittlerweile aus sieben verschiedenen Zeremonien bzw. Szenen und Akten, wobei moderne Sujets die alten, traditionellen Gepflogenheiten verdrängen.

Erster Schritt: „Utschraschuw“ (Zusammentreffen)
Ein „zufälliges“, jedoch penibel arrangiertes Rendezvous (Kennenlernen) zwischen der jungen Frau und dem jungen Mann. Obgleich man sich schon lange kennt oder gerade kennenlernt, muss der junge Mann seinen Wunsch per Brautwerberinnen den Eltern seiner Auserwählten bekannt geben. Wie stark der erste Eindruck gewirkt hat, zeigt sich an den Geschenken, die man bei diesem Treffen gegenseitig überreicht. Wenn die Eltern der jungen Frau nach den Ansprachen der Anstandsfrauen eingewilligt haben, laden sie die Eltern des jungen Mannes und ihn selbst ein, um sie allesamt kennenzulernen bzw. konkret über die Angelegenheit zu sprechen: das genaue Datum, Mitgift, Aussteuer, „Muttermilchgeld“, Pilaw usw. 

Der zweite Schritt heißt „Non sindirish“ sowie „Oq örar“ („Brot brechen“ und „mit Weiß umhüllen“). Das bedeutet, dass die Eltern beider Seiten einverstanden sind, und die jungen Leute dürfen heiraten. Bei der Sitte „Oq örar“ wird ein weißer Stoff als Symbol für Eintracht und Glück geschenkt und danach mit rituellem Brotbrechen die künftige Hochzeit als Abmachung besiegelt.

Dritter Schritt:„Fotiha toy“ (Verlobung) Nachdem beide Seiten die Hochzeit endgültig verabredet haben und sich im Klaren sind, legt man ein Datum für den nächsten Akt des Ritus fest – die Verlobung, bei der die zwei jungen Menschen verlobt werden. Daraufhin vereinbaren die Eltern gemeinsam mit den beiden Verlobten die Details: wann, was, wo, wie, wem etc.

Vierter Schritt: „ZAGS“ (Trauung). Registrierung auf dem Standesamt, ein unverzichtbarer Akt. Sie findet entweder direkt am Tag des Hochzeitsfestes oder kurz davor statt. In jedem Fall geht es dabei überaus fröhlich zu, die jungen Verlobten fahren samt Trauzeugen und sämtlichen Freund(inn)en zum Standesamt und nach unterschriebener Eheschließung geht die gesamte Gesellschaft in einen Vergnügungspark oder ein Café, wo sie die Trauung ausschweifend feiern.

Hauptzeremonie
Fünfter Schritt: Basm (Festmahl, Hochzeitsfest). Zweifelsohne die absolute Kulmination all dieser Hektik, Vorfreude, Glückseligkeit und Überforderungen. Der Auftakt mitreißender Fröhlichkeit geht bereits im Morgengrauen los. Mit einem Hochzeitspilaw beim Bräutigam (mit mehreren Hundert Gästen) für Männer frühmorgens, für Damen zu Mittag, dann begibt sich der Bräutigam mit seinen Freunden zu seiner Braut. Die ganze Fahrt und Ankunft dorthin wird von lauter Musik und Tanzen begleitet. Im Haus der Braut wartet auf diese Gruppe ein brechend voll gedeckter Tisch und es wird ausgesprochen vergnüglich gegessen, gesungen und getanzt. Dann kann der Bräutigam nach vielen Segen und Glückwünschen die Braut und ihre Freundinnen mitnehmen. In der Zwischenzeit hat sich die Braut wie eine Prinzessin angezogen und herausgeputzt. Sie wird von ihrer Patin (Pate) dem Bräutigam auf dem Hof ausgehändigt, wobei sich mitunter eine aufregende Szene abspielt: die Braut nimmt Abschied von ihrem Zuhause und ihrer Familie, und viele brechen dabei in Tränen aus. Daraufhin macht sich die inzwischen angewachsene Gesellschaft auf den Weg. Unterwegs zur Hochzeitshalle (Restaurant oder privat im Hof) warten noch einige Attraktionen auf die Hochzeitsgesellschaft, z.B. eine Fotosession oder ein Abstecher in einen Vergnügungspark. Angekommen in der Hochzeitshalle wird das Brautpaar von einer nie ermüdenden Musiktruppe sowie schaulustigem Publikum bzw. Gästen empfangen. Nachdem das Brautpaar an einem besonderen Tisch Platz genommen hat, bricht eine zügellose Party mit Musik, Liedern, Essen, Trinken und Spielen an. Die Hochzeitsparty beginnt gewöhnlich am Vorabend und dauert normalerweise vier bis fünf Stunden, in denen sie von diversen Akten und Zeremonien bereichert wird. Zum Schluss fährt das Brautpaar nach Hause heim zum Bräutigam und versucht sich einigermaßen zu erholen, denn die Hochzeit ist damit noch nicht zu Ende.
Gesichtsentschleierung
Sechter Schritt: „Kelin salom“ (Begrüßung der Braut, sich grüßen). Am Tag nach der Hochzeit wird die Braut mit ihrer neuen Familie in einer feierlichen Zeremonie bekannt gemacht, formal begrüßt man einander. Besonders interessant ist das sog. „Jus kördi“, die Entschleierung des Gesichts der Braut, wonach die Braut von der Mutter und den anderen versammelten Menschen begrüßt wird. Dabei küssen die Frauen der Braut die Wangen und überreichen ihr Geschenke. Die junge Braut verneigt sich ehrfurchtsvoll, während ihre Patin (Moderatorin) und andere „Kelin Salom“ (improvisierte, kurze Gedichte in Liedform) singen. Auch die Männer dieser Familie sowie die Nachbarn und Verwandten kommen mit Geschenken. Dann werden die Mitgift und die Geschenke der Braut zur Schau gestellt. Die Vertreter der Braut zeigen den Verwandten die Aussteuer, beschreiben jeden Gegenstand und geben jedem Kind ein Geschenk.
Einladung zu den Eltern
„Tschallar“, „Tschaqiriq“ (Einladung, Herbeirufen).  
Ungefähr eine Woche nach der Hochzeit rufen die Eltern der Braut ihre Tochter zu sich. Dabei ist ihre neue Familie selbstverständlich mit eingeladen. Diese „Einladung“ nimmt dann üblicherweise riesige Ausmaße an, mit Musik, Tanz, Geschenken und sechsgängigem Menü etc. Am Ende von „Tschallar“ verteilen die Gastgeber jedem Gast bzw. Familienmitglied des Bräutigams extra ein Geschenk, auch an Abwesende. Damit kommen die Hochzeitsfeierlichkeiten schließlich zum Ende. 

 

Fazit

Usbeken legen überaus großen Wert auf die Kulissenhaftigkeit der Hochzeiten und halten sie für eine Art der Demonstration der eigenen tadellosen Reputation. Die immensen Kosten werden zum Teil von der Verwandtschaft und Nachbarschaft getragen. Aber als primäre Quelle zur Finanzierung bleiben in der Regel die Eltern bzw. die Familie und Jungvermählten selber.

Die Hochzeiten erleben auch gewisse Formen der Globalisierung bzw. Modernisierung und passen sich der Mode und Moderne an, indem alte tradierte Riten und Zeremonien durch „importierte“ neue Elemente verdrängt werden. Ganz entscheidend ist, dass sich die Familien und v. a. die jungen Verlobten an der Planung und Veranstaltung der Hochzeit für oder gegen einen dieser Akte entscheiden können.